Pfingstsonnstag 15.05.2016 – Der Tag an dem Udo starb

So, ich hab mir jetzt mal ne Woche Zeit gelassen, bis ich diesen Eintrag verfasse. Nun möchte ich genau diesen Tag aber doch für mich in einem Eintrag festhalten. Zudem lege ich damit noch ein paar Gedanken hier im Eintrag ab, so hab ich danach hoffentlich wieder einen klareren Kopf.

Mein letzter Eintrag endete damit, dass ich beim ESC eingedöst war. Es muss dann so etwa um 1:30 Uhr gewesen sein. Ich lag im Bett und Kerstin wollte gerade ins Bad um sich für die Nacht fertig zu machen. Ich wurde dann wach, als sie im Gang vor unserem Zimmer laut zu sprechen began. Irgendwas stimmte mit ihrem Papa nicht. Unserem Zimmer gegenüber gibt es auf dem Stockwerk noch eine kleine Toilette. Udo war wohl gerade auf dieser Toilette, antwortete aber nicht. Es waren nur irgendwelche total seltsamen Atemgeräusche zu hören. Wirklich, derartige Atemgeräusche habe ich zuvor noch nie gehört.

Gut mein erster Gedanke, der gute Udo sitzt eben auf dem Klo und will mal seine Ruhe haben. Wir klopfen, nix, wir sprechen ihn an, nix, wir versuchen die Türe zu öffnen, geht nicht. Kerstins Mutter wach gemacht, nein die Türe geht nicht auf und uns wurde immer mehr klar. Hier will jemand nicht seine Ruhe haben, hier passt was ganz und gar nicht. Kerstins Mutter wählt den Notruf und für mich war klar, diese Türe muss weg. Runter in den Keller und Werkzeug holen. Mit Hammer und Stemmeisen habe ich dann versucht die Tür an den Stellen für die Türangel durchzuschlagen – ging nicht. Dann das erste kleine Loch in der Tür. Udo saß auf dem Boden, mit dem Oberkörper gegen die Tür gelehnt. Im nächsten Schritt hab ich dann größere Stücke der Tür mit einem Fuchsschwanz ausgeschnitten. So kam ich dann schon mal etwas an Udo ran.

In dem Moment kamen dann auch schon die ersten Feuerwehrleute zu mir die Treppe hoch. Ihr könnt Euch garnicht vorstellen, wie erleichtert ich war als die Leute mit Helm und Einsatzkleidung gesehen habe. Ich hatte keine Ahnung wie ich den Rest der Türe hätte entfernen sollen, ich wollte Udo beim sägen natürlich nicht verletzen. Kurz danach war der Gang dann auch schon voll, Rettungssanitäter, Notarzt, Feuerwehr und eine Frau von einem Rot Kreuz „First Responder“-Team.

Was mich sehr beeindruckt hat, war die Ruhe. Niemand brüllte durchs Haus oder trampelte die Treppe hoch. Der Einzige der gesprochen hat war der Notarzt. Kurzes Studium des Arztbriefs (in diesem Fall ein kompletter Ordner) und Telefonat mit der Klinik. Sie haben ihn dann mit einem Tragetuch die Treppe runter getragen. Ich muss wohl einen sehr verwirrten Eindruck gemacht haben, der Notarzt hat mir gleich mehrmals sehr langsam gesagt wo sie Udo hinbringen. Station „1-Berta“.

Um 3:00 Uhr hab ich Kerstin und ihre Mutti dann in die Klinik gefahren. Udo war dort seit September im Prinzip Dauergast. So kannten wir zumindest die Klinik, sind dort dann aber doch zunächst ziemlich planlos umhergeirrt. Der Haupteingang war Nachts um 3 Uhr nicht geöffnet und natürlich sind wir zunächst in der Chirurgische Notaufnahme. Wir brauchten aber 1-Berta, das ist die Internistische Notaufnahme. Dort konnten Kerstin und ihre Mutti zu ihm ins Zimmer, ich wollte nicht stören und hab vor der Station gewartet.

Vermutliche Diagnose war ein Schlaganfall, die Ärzte haben nach Rücksprache mit Kerstins Mutter auf zu umfangreiche Diagnostik (CT) und Gerätemedizin verzichtet. Es war uns ja allen klar, dass Udo nur noch ein paar Wochen zu leben hatte. Die Leukämie war so agressiv, da liesen sich die Blutwerte auch mit Bluttransfusionen nicht mehr aufrechterhalten. Am Freitag lagen die Thrombozyten schon bei 18.500 /µl Blut und der letzte Messwert in der Klinik dann bei 7.000 /µl Blut. Tja, was macht man? Da wir nichts tun konnten, sind wir zunächst wieder heimgefahren.

Kerstins Mutter ist dann gleich am Morgen mit Bekannten wieder in die Klinik gefahren. Kerstin und ich sind dann am frühen Nachmittag nachgekommen. Udo wurde inzwischen in ein ruhiges Einzelzimmer auf einer anderen Station verlegt. Udo war nicht mehr ansprechbar, er wurde nur mit Sauerstoff versorgt und hatte einen Zugang mit Dosierpumpe für Morphium. Ein paar andere Verwandte waren auch schon da. Wir konnten dann seine Hände halten und ihn streicheln. Er hat sich echt gefreut, dass wir da sind. Kurz darauf hat sich die Atmung verändert, ich bin dann raus und hab ne Krankenschwester geholt. Die sagte dann schon, „das sind jetzt die letzten Atemzüge“, mir hätte es beinahe die Knie weggehauen. Ich bin dann nur für ein paar Minuten raus, Kerstins Bruder fehlte noch, den hab ich dann gleich auf einem Gang abgefangen und gekuckt, das er das Zimmer gleich findet. Als wir dann gemeinsam ins Zimmer zurückkamen ist Udo gerade in diesem Moment gestorben.

Ich weine wirklich sehr selten, aber das hat mich echt sehr tief getroffen und berührt. 15 Uhr, ungefähr 12 Stunden nachdem wir ihn auf der Toilette gefunden hatten. Das Klinikpersonal war echt super, wir mussten nur kurz vor dem Zimmer warten. In dieser Zeit wurden die Zugänge entfernt und eine Kerze aufgestellt. So konnten wir dann noch im Krankenhaus in aller Ruhe Abschied von Udo nehmen.

Ich bin jetzt schon 41 Jahre, aber ich würde sagen, dieser Pfingstsonntag war der bisher emotional bewegenste für mich. Das ging mir wirklich sehr sehr nah. Stellt Euch Udo bitte nicht als alten gebrechlichen Opa vor. Udo war 57 Jahre alt und eigentlich ein sehr durchtrainierter Typ. Ich weiss noch, wie Udo bei mir im Haus mit so einem Megaschlaghammer einen Betonsockel entfernt hat.

Hach, also der Tod von Udo hat auch bei mir ein ziemlich tiefes Loch hinterlassen…